Dengler und die Maler
von Gottfried Knapp

Nirgendwo ist man als Freund der Künste vom Humor, vom Lachen und von der Ironie weiter abgeschnitten als in den bildenden Künsten. Die Schreibkunst, also die Literatur, ergeht sich immer wieder lustvoll in Formen des Heiteren und Komischen. Und auch die Musik hat manche Formen des Humors ausgebildet; in der Klassik kann etwa die Satzform „Scherzo“ als Beweis dienen. Für die Baukunst aber – um zu den bildenden Künsten zu kommen – können Formen von Heiterkeit sogar tödlich sein: Wenn Architektur beim Betrachter oder Benutzer auch nur ein verstecktes Schmunzeln hervorruft, hat sie ihren Zweck verfehlt.

Aber auch in der langen Geschichte der Malerei gibt es wenig zu lachen. Wo Maler oder Zeichner sich inhaltlich oder formal der Ironie oder der Satire bedient haben, sind Karikaturen entstanden. Diese bewussten Verzerrungen der abgebildeten politischen oder sozialen Realität bilden ein eigenes Genre, das sich neben der Malerei oder der Zeichenkunst profiliert hat. Was aber irgendwann in den Kodex der Malerei aufgenommen worden ist, entbehrt jeder ironischen oder komischen Pointe, sieht man von dargestellten humorigen Genreszenen, wie sie im 17. Jahrhundert in den Niederlanden oder später im Biedermeier beliebt waren, einmal ab. Doch auch diese Schmunzelbilder werden mit der gleichen witzfreien handwerklichen Ernsthaftigkeit abgeliefert.

Für einen Maler und kunstgeschichtlich gebildeten Akademieprofessor, der Sinn für Witz, Komik und Ironie hat, könnte darum der seit langem festgelegte, über Jahrhunderte hinweg oft bestätigte, nur partiell immer mal wieder modifizierte Kanon der Kunstgeschichtsschreibung durchaus ein Grund für ironische Randbemerkungen sein – oder auch für Überlegungen, die sich (selbst-)kritisch mit dem Medium Malerei beschäftigen. Man kann ja wohl davon ausgehen, dass jeder, der Kunst lehrt, also etwa die Grundprinzipien der Malerei oder aber bestimmte Partien der Kunstgeschichte an andere weitervermitteln will, seinen Zuhörern ein subjektiv gefärbtes Bild der angepeilten Epoche gibt. Er wird seinen eigenen Wertemaßstab als Richtlinie ansetzen, also die Größen der Vergangenheit nach seinen eigenen Vorstellungen und Vorlieben bewerten und entsprechend einander zuordnen.

Gerd Dengler, der sich als Professor an der Akademie der bildenden Künste in München ein umfassendes Wissen über die Geschichte der Malerei, aber auch ein sehr persönlich gefärbtes Wertesystem erarbeitet hat, ist als Maler, aber auch als Denker immer schon weit über die Gepflogenheiten seiner Kollegen hinausgegangen. Seine für viele Kollegen rätselhaft antikünstlerische Malmethode war von der ersten Minute an eine anarchische Parodie dessen, was im ehrwürdigen Bildmedium Malerei handwerklich oder künstlerisch als Qualität gilt, aber auch eine ironische Simplifizierung dessen, was er selber in der Kunstform der Malerei für erwähnenswert oder gar überragend hält.

Auf die individuelle Pinselschrift, die er bei den großen Malerpersönlichkeiten so sehr bewundert, hat Dengler immer schon trotzig mit einer mechanistisch primitiven Technik geantwortet: Statt mit feinen Pinseln zu arbeiten, bedient er sich farbbestrichener breiter Walzen, die große Flächen gleichmäßig zu bedeckcn vermögen, etwas wie handschriftliche Finessen aber grundsätzlich verhindern. Und statt die Farben einem gewünschten Gesamtklang gemäß malerisch fein auszudifferenzieren und abzutönen, walzt er die Grundfarben – oft so wie sie aus der Tube kommen – und wenige ähnlich laute, bewusst unschöne Mischtöne mittels Abklebungen so kantenscharf hart, so unvermittelt knallig nebeneinander, dass alles, was die Malerzunft im Lauf der Epochen an technischen Finessen und künstlerischen Ausdrucksmitteln entwickelt und erprobt hat, aus den entstehenden Bildern verbannt bleiben muss.

Dass sich mit dieser absichtsvoll kunstlosen, aber darum umso künstlicheren Abklatschtechnik nur Objekte erfassen und darstellen lassen, die formal ähnlich konsequent vereinfacht, versimpelt und ins Primtive gewendet worden sind, liegt auf der Hand. So hat Dengler mit seinen gezielt laienhaften Bildschöpfungen immer schon Parodien bestehender künstlerischer Bildmuster geliefert. Ja er hat das Prinzip des Anzitierens bildnerischer Urformen aus dem kollektiven Gedächtnis, aus der Kunstgeschichte, aber auch aus der Werbewelt im Lauf der Jahre immer weiter perfektioniert. So lag es nahe, dass er die langsam wachsende Serie der ironisch-liebevollen Hommagen an die Oeuvres geschätzter oder auch weniger geschätzter Kollegen irgendwann systematisieren und zu einem lockeren Kompendium über die Geschichte der Malerei ausbauen würde.
Da aber viele der bildlichen Anspielungen in seinen Kompositionen nur zu verstehen sind, wenn man die entsprechenden Künstlerlegenden kennt oder aber bestimmte historische Sachverhalte, die nicht unbedingt zum Bildungskanon gehören, hat er irgendwann angefangen, den Bildern ironisch erläuternde oder auch systematisch verwirrende Texte nachzuschicken. Er schlüpft dabei gern in fremde Rollen, am liebsten in die des pingeligen amerikanischen Kunsthistorikers und Kritikers Sensemaker, den er vor vielen Jahren als Gesprächspartner erfunden und seither immer wieder als Schiedsrichter bemüht hat. Auch auf den literarischen Seiten des Buchs waltet also die Anarchie.

So ist ein ironisches Bild- und Wortwerk über die Größen der Malereigeschichte, aber auch über Sinn und Unsinn apokrypher oder auch notorisch bekannter Künstleranekdoten entstanden. Dieses Sammelwerk bietet eine schwer überbietbare Fülle ironischer Repliken auf abendländisches Kulturgut, ja beim Durchblättern erweist sich das Buch als eine Anthologie satirischer Möglichkeiten in der weitgehend humorfreien Zone der hohen Malerei.

Da wird zum Beispiel – gleich am Beginn des Buches – dem Höhlenmaler gehuldigt, und zwar mit der gängigen und durchaus griffigen Vorstellung, dass die in Höhlen hausenden Menschen der Steinzeit irgendwann die von ihren Feuern oder von der tiefstehenden Sonne auf Felswände geworfenen Schatten ihrer Tiere festhalten wollten, und darum auf die Idee kamen, die Umrisse mit Ruß, Blut oder ähnlichem Farbmaterial nachzuzeichnen. Wie fast alle Kunst-Anekdoten dürfte auch diese mechanistische Theorie einen Funken Wahrheit enthalten; doch warum unsere Vorfahren, die als Jäger und Sammler aktiv waren, eines Tages bildnerisch aktiv geworden sind, warum sie angefangen haben, die Umrisse der jagdbaren Tiere und manchmal auch die der eigenen Fressfeinde möglichst naturähnlich auf die Wände ihrer Wohn- oder Kulträume zu projizieren, ist mit dieser naheliegenden Vermutung natürlich noch keineswegs schlüssig erklärt.

Schon seit seinen Anfängen hat Gerd Dengler mit Vorliebe ess- und trinkbare Dinge – Obst, Gemüse, Brot, Würste, Schinken, Weinflaschen – in Öl reproduziert. Er musste sich also durch die Vorläufer auf diesem Gebiet, durch die Virtuosen der Stilllebenmalerei herausgefordert fühlen, Und tatsächlich hat er irgendwann angefangen, ironisch-respektvoll nachzubauen, was die Meister der Vergangenheit auf Tellern und Schalen vereint haben. Dabei hat er seiner absichtsvoll versimpelten Darstellungstechnik durch feine bis abgefeimte Hell-Dunkel-Übergänge innerhalb des Farbspektrum
eine schöne Sinnlichkeit und die Fähigkeit Körper plastisch zu modellieren, abgewonnen. Macht er sich gar noch die Mühe, feine Weißhöhen anzubringen, springen einem die gemeinten Objekte – Melonen, Kirschen oder Tomaten – mit ihren Rundungen so prall ins Gesicht, dass man manchmal versucht ist, in Deckung zu gehen.

Vom Stillleben-Genre zieht Dengler aber gerne auch satirisch-kabarettistische Schlüsse zurück auf aktuelle Konsum-Phänomene: Wenn er einem Bild mit verdächtig langweilig aussehenden und wohl auch ähnlich schmeckenden Holland-Tomaten den Titel <Niederl. Art> verleiht, also das Wort <Art> durchaus doppeldeutig verwendet, deutet er den Abgrund an, der zwischen den hohen Illusionen der Barockzeit und den niederen Realitäten von heute klafft.

Von bitterböser Lakonik ist auch, wenn er im Kapitel über die italienische Malerei den unermesslichen Reichtum Italiens mit zahllosen kleinen Bildbeispielen im Textteil demonstriert, in dem von ihm selber gemalten Bild dazu aber die Kultur Italiens auf das reduziert, was deutsche Touristen für typisch italienisch halten, nämlich auf eine dicke Mortadella, eine knallrote Tomate, eine Flasche Rotwein und drei Zypressen auf dem Hügel im Hintergrund.
Auch die Visualisierung der im 19. Jahrhundert erfolgreichen, konservativ weißblauen <Münchner Schule> mit nichts anderem als einer am blauen Bayern-Himmel schwebenden Weißwurst, trifft in ihrer lapidaren Verkürzung das gemeinte Phänomen mitten ins Herz.

In bestem Sinne kongenial entlarvend ist die bildliche Antwort, die Dengler auf die wohl populärste Provokation und Provo-Aktion der neueren Kunstgeschichte gefunden hat. Piero Manzoni hat in den aufmüpfigen Sechzigern selbstproduzierten Kot als <Künstlerscheiße> in Konservendosen gefüllt und in Galerien teuer verkauft. Dengler lässt noch einmal solch eine Dose in seinem Bild erstehen und stellt – was läge näher - eine rosige Klorolle gleicher Größe als Pendant daneben. Schöner kann man die Avantgarde und ihre Schockmethoden nicht der Lächerlichkeit preisgeben: Manzoni wird mit seinen eigenen Mitteln geschlagen.

Oft mündet die ironische Betrachtung der historischen Fakten einfach in ein schönes Bild, das auf andere Weise – auf ernsthaft bemühte Weise – wohl nie entstanden wäre: Der kunsthistorische Begriff <Donauschule> etwa, der einige wilde Maler der Dürer-Zeit aus dem bayerisch-österreichischen Raum als Gruppe zusammenfassen soll, heute aber sehr umstritten ist, beschert uns eine Symphonie in Blau, eine derb-saftige Landschaftsvision mit mäandrierendem Strom und seitlich hereindrängenden Bergen. Oder der <Blaue Reiter> - er darf bei Dengler auf einem gespannten Hochseil hoch über der Erde waghalsig vom Murnauer Kirchturm zur nächsten Bergspitze hinaufbalancieren.

Höchst vergnüglich in seiner naiven Kurzschluss-Logik ist auch das Bild, auf dem eine kleine Gondel vor der Kulisse Venedigs das vom Venezianer Pietro Longhi im 18. Jahrhundert gemalte mächtige Rhinozeros über den Canale della Giudecca schippert. Oder das suggestive Bild, auf dem Rembrandt, der große Meister der Selbstporträts und der Selbstdarstellung, vor einer leeren Leinwand mit seinem eigenen Schattenbild ficht – man kann es als bildnerische Umsetzung der neuen Erkenntnis interpretieren, dass der Meister viele der historischen oder mythologischen Figuren, die er gemalt hat, zuvor sich selber mit Kostüm und Perücke vorgespielt hat. Und wie Picasso mit dunklen Riesenaugen aus einem Ovalbild heraus auf die nackte Frau blickt, die anatomisch wüst zerlegt und kubistisch wieder zusammengesetzt vor ihm sitzt, das lässt jeden Picasso-Kenner schmunzeln.

Blättert man übrigens das ganze Buch am Stück durch, wird man feststellen: Dengler hat nicht die Künstler, die er für überschätzt hält, also leicht parodieren könnte, ins Zentrum seiner ironisch gefärbten Malereigeschichte gestellt, sondern die Maler, die er besonders liebt und bewundert: So sind etwa Rembrandt, Velazquez, Vermeer, Goya, Friedrich, Hopper und Magritte jeweils mit mindestens drei recht unterschiedlichen Bildwidmungen im Buch vertreten. Es ist also nicht der Neid eines spätgeborenen Kleingeists, der sich in den ironischen Paraphrasen dieses Buches äußert, sondern die Liebe eines Kenners, der prägnant zu gewichten und zu unterscheiden weiß und aus der präzisen Kenntnis des jeweils Außergewöhnlichen zu außergewöhnlichen Mitteln greift, um sowohl bildlich als auch sprachlich außergewöhnliche Antworten zu finden.

Man kann Denglers Sammelwerk also als eine liebevoll-ironische Hommage an jenen wunderschönen Zweig der Kunstgeschichte feiern, dem Humor bislang weitgehend vorenthalten worden ist.

 

 

Dengler und die Maler
von Gottfried Knapp

Auszüge aus
3o ooo Jahre Malerei / Hommage an die Malkunst